Editorial: Wie Nokia und Microsoft die Lumia 920 Pressekonferenz vermasselten

Nokia CEO Stephen Elop vor dem neu vorgestellten Nokia Lumia 920

6. September 2012, 10AM EDT. Fast minutengenau zum Beginn der im Vorfeld als „Windows Phone 8 Pressekonferenz“ verstandene Veranstaltung sinkt der Aktienkurs von Nokia auf ein Tief von $2,30. Dies ist im Vorfeld großer Ankündigungen nichts ungewöhnliches, doch im Anschluss des 1,5h-langen Events geht es nur marginal wieder nach oben. Was war passiert?

tl;dr Der Gesamteindruck der Veranstaltung wurde durch drei Faktoren in Mitleidenschaft gezogen: Microsofts Versäumnis, interessante neue Details zu Windows Phone 8 zu präsentieren, Nokias Unvermögen, Produkte vor der offiziellen Präsentation unter Verschluss zu halten und das Fehlen wichtiger Eckdaten zur Verfügbarkeit der neuen Smartphones. Die Peinlichkeit des PureView-Videos ohne Lumia setzt dem ganzen die Krone auf.

Nokia hatte sich viel vorgenommen und zwei neue Telefone vorgestellt, zahlreiche neue Apps und Zubehör präsentiert und Microsoft ein wenig von Windows Phone 8 erzählen lassen. Und eigentlich lief alles wie geplant, abgesehen von kleinen technischen Schwierigkeiten im Livestream und auf der Bühne. Dennoch hat sich, auch bei mir, die erhoffte Euphorie um die neue Hardware nicht wirklich einstellen wollen. Eigentlich Schade, denn die Geräte hätten es verdient gehabt. Aber wie kam es zu der Emotionsflaute? Es folgt ein Versuch meinerseits, die Gründe hierfür festzustellen.

Das PureView-Schummelvideo? Nicht weiter tragisch, doch passt zum Gesamteindruck.

In aller Munde war gestern und heute das von Nokia groß verbreitete Video, bei dem die neue Bildstabilisationstechnik des mit PureView ausgerüsteten Lumia 920 gezeigt werden sollte. Wie sich später herausstellte, wurde das Video allerdings weder von einem Fahrrad aus noch mit einem Lumia-Smartphone aufgenommen, sondern aus einem Van heraus mit professionellem Equipment. Während viele versuchten, darin einen Eklat zu sehen, gehört für mich der Vorfall höchstens in die Kategorie „Dumm und unnötig“, denn zahlreiche andere Fotos und Videos beweisen, dass die verbaute Kamera auch wirklich das hält, was Nokia versprochen hat. Doch die Geschichte hinterlässt natürlich einen faden Geschmack, der zu den vorhergehenden Versäumnissen und Fehlern passt.

Der größte Fehler: Microsoft

Würde man mich nach dem größten Fehler fragen, der bei der Pressekonferenz begangen wurde, wäre meine spontane Antwort: „Die Anwesenheit Microsofts“. Das trifft es allerdings nur halb. Aus meiner Sicht noch problematischer ist die Tatsache, dass Nokia UND Microsoft zum Event geladen haben. So entstand weitläufig der Eindruck, es ginge mindestens zu 50% um das neue Betriebssystem. Welch Irrglaube!

Kaum hatte Nokia die Katze aus dem Sack gelassen und sein neues Flaggschiff vorgestellt, durfte Windows Phone Chef Joe Belfiore die Bühne betreten und einige Worte über Windows Phone 8 an das versammelte Publikum richten. Die Anspannung wuchs merklich, denn alles hoffte, wie bereits erwähnt, auf neue Details zu WP8. Doch was kam, haute niemanden vom Hocker. Denn sowohl der neue Startscreen als auch die Funktion der Kamera-Lenses war allen im Raum und am Live-Stream bereits bekannt. Dass die Screenshots-Funktionalität bestätigt wurde, war quasi das Highlight – und diese ist ja auch schon seit unserer Entdeckung  vor wenigen Wochen nichts mehr wirklich Neues. Ansonsten Bestand die Präsentation darin, zum x-ten Mal zu demonstrieren, wie Nutzer ihren Windows Phone Startbildschirm personalisieren können.

An dieser Stelle sei ein Plädoyer an Microsoft eingeschoben: Es ist schön, wenn man dem Nutzer Freiräume bei der Einrichtung seines Homescreens gibt. Doch jede Person, die eine solche Pressekonferenz verfolgt, ist entweder Fan des Betriebssystems oder Mitglied der Presse, und kennt dementsprechend alle wichtigen Facetten der Software – zumal das gleiche ja schon im Juni öffentlich präsentiert wurde. Und das einzige, was noch langweiliger ist, als sein Smartphone selbst einzurichten, ist, anderen Leuten dabei zuzusehen.

Ich finde es schön, dass Microsoft Nokia bei seinen Events unterstützen möchte. Doch kaum eine Firma kann es sich leisten, gelangweilte Journalisten im Publikum sitzen zu haben. Und Nokia schon gar nicht.

Problem Nummer 2: Der Überraschungseffekt

Für mich sind solch Veranstaltungen in der Tech-Industrie immer so ähnlich wie Zaubershows. Alle wissen, dass  gleich etwas aus dem Hut gezogen wird. Bloß was? Deutlich weniger spannend ist das Ganze, wenn man den Zauberer bereits im Vorfeld der Show dabei beobachtet, wie er den Hasen im Zylinder versteckt.

So ähnlich ging es mir gestern. Jeder wusste bereits vor Beginn, dass zwei neue Telefone vorgestellt werden. Es waren Namen und grobe Spezifikationen bekannt, sogar die Pressebilder gelangen frühzeitig an die Öffentlichkeit. Hoffnung machte sich breit, dass es nicht dabei bleiben würde. Vielleicht würde ja doch noch ein Tablet zu sehen bekommen? Oder der Hase verwandelt sich auf der Bühne in einen Adler?

Dementsprechend waren viele wohl enttäuscht, als es doch „nur“ die zwei Telefone waren. Da war es auch schon fast egal, dass das Lumia 920 mit seiner Kamera neue Maßstäbe in Sachen Smartphonefotografie setzte und man beide Geräte dank neuester Displaytechnologien sogar mit Handschuhen benutzen kann. Auch das kabellose Aufladen und das vielfältige Zubehör konnten da die Stimmung nicht mehr retten.

Last but not least: Wann? Wo? Wieviel?

In gut 90 Minuten gab es viel Neues und viel bereits Bekanntes zu sehen. Doch auf drei sehr wichtige Fragen gab man an diesem Tag keine Antworten: wann kommen die Geräte, wo werden sie verfügbar sein und wie tief muss man dafür in die Tasche greifen?

Die Frage nach der Verfügbarkeit mag für uns zunächst vergleichbar wenig Relevanz haben, denn beide Telefone wird man hierzuladen wohl ohne weitere Schwierigkeiten im freien Handel erwerben können. Anders sieht das in den USA aus, wo der direkte Kauf eines Handys die absolute Ausnahme ist. Dort werden so gut wie alle Smartphones direkt beim Netzbetreiber und in Zusammenhang mit einem Zweijahresvertrag erworben. So kann es schnell vorkommen, dass man sein Traumtelefon gar nicht bekommen kann, da der Anbieter es eben nicht im Sortiment hat. Deshalb hat man – leider vergebens – in Amerika so auf die Erwähnung der Vertriebspartner gehofft.

 

Einzeln betrachtet sind all diese Punkte aus meiner Sicht nicht übermäßig tragisch, doch zusammengenommen trüben sie den Gesamteindruck doch beträchtlich. Dies ist insofern besonders schade, da Nokia mit dem Lumia 920 und dem Lumia 820 wirklich zwei  tolle Geräte in den Startlöchern hat, die ein entsprechendes Presseecho verdient hätten. Vielleicht sollte man doch zumindest in Sachen Präsentation ein wenig beim Konkurrenten Apple spicken.

Oder was meint ihr?